Myrtax - Das Ende einer Blutlinie

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42. Qualskar 7345 Vierte Ära NL

Kurz vor Sonnenuntergang

Myrtax

 

 

Wieder waren Monate ins Land gegangen, die Hitze des Sommers war noch angestiegen, die Felder sprossen mit Korn und Gemüse, heißer Wind fegte Sand und Blumen über das Anwesen. Sogar in dem großen Baum, der das Hauptgebäude des Adels bildete, gab es kaum Erholung. Bei einem seiner Berichte gegenüber der Herrin Rovinna hatte er beobachten dürfen, wie der schlanke Körper der adligen Vampirdame vor Schweiß glänzte. Sogar das Wasser im Zuber wurde nicht kalt, so warm war es im Moment.

Einen kurzen Moment hatte Myrtax an die Blutweinsklaven gedacht, die nackt und hilflos in ihren Ketten hingen und schwitzten. Dann wurde ihm wieder bewusst, dass diese Menschen vermutlich keine Ahnung hatten, wer sie wo waren und was mit ihnen gerade passierte.

Kümmern musste es Myrtax nicht. Er fand es nur etwas merkwürdig, dass sogar Kleinkinder als Blutweinsklaven gehalten wurden. Das kleine Mädchen tat ihm sogar noch mehr leid als die anderen Sklaven.

Im Moment lag er auch auf der Seite, das rote Licht der Sonne drang durch sein offenes Fenster und beleuchtete die schmalen Seiten des Buchs, welches vor ihm auf der Decke lag. Es schien wohl mal ein Reisetagebuch oder eine Art Kodex für unterwegs zu sein, denn ausnahmsweise hatte Myrtax mal kein Buch über Magie der Altvorderen gefunden, sondern etwas, worin Blumen, Kräuter und Gewächse aller Arten beschrieben waren.

Das Buch trug keinen Titel, war etwas größer als seine Hand und hatte auch keinen Autor, war einfach zwischen die größeren Folianten geschoben worden. Der junge Sklave hatte noch nicht herausgefunden, nach welcher Ordnung die Lachlidan ihre Bibliothek aufgebaut hatten. Dass es eine gab, war offensichtlich, denn die wenigen Helfer fanden die Bücher meist auf Anhieb. Einmal wäre er beinahe erwischt worden, da ein Vampir offenbar seinen Schweiß oder seinen Duft gerochen hatte. Er war dem Helfer nur mit Müh und Not entkommen und musste sich danach erst einmal gründlich waschen.

Nun lag er auf der Seite, gewaschen, ohne körperliche Bedürfnisse und nutzte die wenigen Stunden, die ihm blieben, um sich weiterzubilden. Der Autor war keiner der Altvorderen, denn er schrieb im etwas archaisch anmutenden Vampirisch. Vermutlich war er oder sie ein wandernder Vampir gewesen, denn es würde erklären, warum jetzt hier eine Schlingpflanze beschrieben wurde, deren Blüten wie geschmolzenes Wachs wirkten und wohl Fleisch- beziehungsweise Aasfresser waren, denn sie konnten offenbar ein Sekret ausscheiden, welches Fleisch auflöste und sie es durch eine Art sehr dehnbarer und beweglicher Speiseröhre aufnehmen konnten.

Myrtax erschauderte bei dem Gedanken daran, von einer Ranke aufgelöst zu werden, aber der Autor betonte in einem Satz, dass diese Ranken nicht schnell waren, sondern sich wohl nur über langsame oder tote Wesen hermachten, was ihn etwas beruhigte. Gut, dass es diese Pflanzen hier nicht gab.

Was er noch in dem Buch fand, waren Kräuter, die es hier im Ebenholzdickicht gab und auch nicht, sondern im hohen Norden bei den Voltera oder bei den Gÿrval. Einige klangen sehr nützlich, andere eher nicht so.

Gerade hatte er die nächste Seite aufgeschlagen und las über einen Bodendecker, der eigentlich relativ unnütz sei, aber dessen Wurzeln zerstampft und gekocht gegen Fieber helfen sollten, da klopfte es beinahe panisch an seine Tür.

POCHPOCHPOCHPOCHPOCHPOCHPOCHPOCH!

Myrtax stopfte das Buch unachtsam zwischen den Bettkasten aus gewachsenem Holz und seiner Matratze. Sein Herzschlag beschleunigte sich und ihm wurde kalt, als er bemerkte, dass er nackt aus dem Bett gesprungen war, als die Tür krachend aufflog.

Die Dienerin - nein, Sklavin, sie trug ein Halsband - war Myrtax bisher nur einmal aufgefallen, als sie bei der Herrin Rovinna geputzt hatte. Natürlich unter den strengen Augen der Herrin.

Als sie sah, dass er mitten im Raum stand, blieb sie stehen, musterte seinen Körper bis nach unten, hob eine Augenbraue - Myrtax verstand nicht so wirklich, was sie damit sagen wollte - und schaute dann hoch. Sie schien menschlich zu sein, denn er konnte keine Reißzähne an ihr entdecken und sie schien das Licht auch ertragen zu können, denn ein roter Lichtstrahl wanderte über ihr schmales Gesicht, färbte es noch dunkler.

"Du musst kommen.", sprach sie ihn an, ihr Atem ging schnell, als wäre sie gerannt. Das Gehämmer an seiner Tür sprach für die Eile, auch das etwas zerzauste Haar und die Schweißtropfen auf ihrer Stirn. Den Rest ihres Körpers konnte er nicht sehen, er steckte in Kleidern der Sklaven, einem dichten Kleid aus Leinen, welches bis zum Hals geschlossen war.

"Was?", fragte er begriffstutzig. "Warum denn? Was ist denn so eilig?"

"Huria.", spuckte die Sklavin aus und machte damit deutlich, was sie von der hübschen, schwangeren anderen Sklavin hielt. Myrtax hingegen fühlte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich.

"Ist es soweit?", fragte er und griff nach seinen Kleidern, die neben dem Bett lagen.

"Ja. Der Herr Jilal hat nach dir geschickt."

"Wieso denn nach mir?" Er stieg in seine Hose.

"Woher soll ich das wissen?", zischte sie ihn wie ein Schlange an. "Der Herr sagt "Spring" und ich frage "Wie hoch?", also mach, dass du fertig wirst!"

"Jaja.", brummte Myrtax, schlüpfte in seine weichen Schuhe und zog sich dann das Hemd an, welches aus etwas gelblichem Leinen bestand. Was er über Geburten wusste - sowohl bei Menschen als auch bei Vampiren  - war einfach zusammengefasst: sie taten weh, waren unter Umständen tödlich und sie dauerten teilweise sehr, sehr lange.

"Ich gehe.", grummelte die Sklavin, ließ die Tür hinter sich auf. Myrtax schaute ihr kurz hinterher, warf einen Blick zu seinem Bett, machte es ordentlich und verstaute das kleine Buch sorgfältig auf der anderen Seite, zwischen Wand und Bett. Es hatte ein paar geknickte Seiten, aber dies war nicht so schlimm. Bis jemand es wieder in der Bibliothek gebrauchen würde, wären die geknickten Seiten wieder gerade durch die Spannung zwischen den größeren Büchern.

Erst dann folgte er der Sklavin und merkte, dass ihm flau im Magen wurde. Er hatte keine große Lust, bei der Geburt dabei zu sein. Die letzte Geburt hatte er gesehen, als er noch bei den Sklaven geschlafen hatte und auch dies war kein schöner Anblick gewesen. Die Geburt eines Vampirs war ungleich schwieriger, da die Eier merkwürdig lagen und im schlimmsten Fall die Bauchdecke der Gebärenden aufreißen konnten. Dann musste ein Vampir - im besten Fall ein Heiler - dafür sorgen, dass Schock und Blutverlust die Frau nicht umbrachten.

Myrtax schwitzte bereits wieder, als er aus seinem Zimmer trat und die Treppe nach oben nahm. Man hatte ihm nicht gesagt, dass er etwas holen sollte, also hatte er auch nichts bei sich, als er vor der Tür zum Gemach des Herrn Jilal stand.

"Man erwartet mich.", sprach er die beiden Wachen an. Die rechte Wache kannte ihn wohl und Myrtax kannte auch ihn vom Sehen, denn er klopfte und öffnete die dunklere Tür.

Ein Schrei gellte Myrtax entgegen, was ihm die Ohren klingeln ließ, als er eintrat. Auf der rechten Seite des Raums waren gleich zwei Dinge aufgebaut worden: ein Gefäß aus Stein, etwa so hoch und breit wie ein normaler Brustkorb, rechteckig aufrecht stehend auf einem Gestell aus Metall. Darunter lagen mehrere Holzscheite, die schon vor sich hin glommen, kleine rote Flämmchen wanderten über das trockene Holz. Dünner Rauch stieg auf, verschwand durch kleine Abzugsschächte in der Decke.

Das zweite Ding war ein Stuhl, etwas höher als ein normaler Stuhl. Die Sitzfläche war fast gar nicht existent, sondern nur am Rande. Unter der Sitzfläche, etwa eine Unterarmlänge darunter, war eine Auffangschale angebracht worden. Diese Schale war mit frischem Stroh ausgekleidet.

Auf der schmalen Sitzfläche saß Huria. Ihre Beine waren weit gespreizt für den kommenden Vorgang und mit Lederfesseln um die Knöchel an den massiven Holzstuhl gebunden. Ihr dicker Bauch wölbte sich wie eine drohende Gefahr darüber, ihre schweren Brüste lagen auf der geröteten Haut. Oder sie war nicht gerötet und es war das Licht, welches gedämpft durch die dicken Vorhänge drang. Noch war die Sonne nicht untergegangen. Kleine weiße Tropfen rannen von ihrer Brust an ihrem Bauch herunter.

Ihre Arme waren angewinkelt worden, sodass sie nach oben zeigten. Die Armlehnen lagen fest am Unterarm an und sie konnte sich mit den Händen in die Handauflagen krallen, die mit dickem Leder umwickelt waren. Auch ihre Hände waren mit Lederfesseln um die Handgelenke an den Stuhl gebunden.

Ihr Kopf war frei, aber sie hatte sich in einem Stück Holz, welches ebenfalls mit Leder geschützt wurde, verbissen. Dies diente wohl dazu, dass sie sich nicht versehentlich auf die Zunge biss und so verblutete. Das Holz war mit den seitlichen Aufbauten des Gebärstuhls verbunden.

Wieder drang ein hoher Schrei aus ihrer Kehle, aber sie nahm den Kopf nicht zurück. Myrtax kniff die Augen zu und wandte sich von dem aufgedunsenen Körper ab.

Sein Herr Jilal stand mit Marseille neben Huria. Der Druide Diosmos war nicht zu sehen. Ihn hatte Myrtax am ehesten hier erwartet, da er einer der wenigen Vampire war, die Magie wirken und sich am besten mit Geburten auskennen sollte.

"Herr." Myrtax verneigte sich steif aus der Hüfte heraus und wollte Huria nicht anschauen. Ihm tat sie leid und es ihm in der Seele weh, dass sie solchen Qualen ausgesetzt wurde. Und das nicht einmal freiwillig.

"Da bist du ja.", brummte Jilal, nahm seine Augen nicht von der hektisch atmenden Frau. Zwei weitere Diener kamen herein, beides Frauen, in Kleider gehüllt und brachten  Handtücher, Wasser, Tränke, Mullbinden, Nadel und Faden, wie es schien.

"Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte, Herr." Myrtax fand nicht, dass er besonders langsam gewesen war und den genervten Ton auch nicht gerechtfertigt.

"Sicher bist du das." Jilal deutete mit dem Arm auf das steinerne Gefäß, welches auf der Rückseite geschlossen und somit einen hohlen Kasten ohne Deckel bildete. Eine Schale aus Stein befand sich darin und sollte das Ei beinhalten, während es weiter ausgebrütet wurde. Die Geburt war nämlich nur ein Übergang zwischen zwei Brutstätten.

"Heize das Feuer an und lass es nicht ausgehen.", befahl Jilal. "Wir wollen es warm haben, wenn Huria niedergekommen ist."

"Herr?" Myrtax schluckte und traute sich zu fragen. "Wird Diosmos noch erscheinen, um ihr zu helfen?"

Jilal schaute nun Myrtax an, seine Augen stechend wie Dolche. Das Feuer spiegelte sich darin und sah aus wie Wahnsinn, der in den Augen flackerte.

"Verstehe, Herr.", nuschelte Myrtax, neigte den Kopf und wandte sich ab. Er legte noch einen Holzscheit unter das Gefäß und blies sanft auf die Flammen, damit sie langsam größer wurden. Der Steinkasten musste auf Temperatur gebracht und dort gehalten werden.

Rasch wurde es merklich wärmer in dem ohnehin schon warmen Raum. Lampen und Kerzen wurden entzündet, die Vorhänge aufgerissen, genau wie die Fenster, was kaum einen Unterschied in der brütenden Hitze machte. Nur der sowieso kaum merkliche Rauch konnte besser abziehen.

Huria schrie, Myrtax schaute hin. Das Ei hatte sich bereits vor Wochen in Position gebracht und vermutlich war ihr Wasser bereits geplatzt. Myrtax hörte das Holz knirschen, als sie sich in die Handauflagen krallte. Er bückte sich wieder, um einige kleine Aststücke in die Flammen zu werfen und erhaschte dabei einen Blick zwischen ihre Beine, schaute rasch wieder weg.

Was er sah, sah nicht gut aus. Ihr Unterleib war aufgedunsen, ihre einst zierlich zu nennende Weiblichkeit ausgeweitet, Blut tropfte heraus in das Stroh unter ihr.

Das war das erste Mal, dass Myrtax ein Stoßgebet flüsterte. Er wusste nicht zu wem oder warum, aber er wollte, dass die Sklavin überlebte. Ob irgendjemand zuhörte, wusste er nicht. Hoffentlich kam sein Gebet nicht bei den Infernalé an.

Nachdem er sicher war, dass das Feuer regelmäßig brannte und der Brutkasten gleichmäßig warm wurde, füllte er einen Zinnbecher mit Wasser, welches rasch warm wurde und ging damit zu Huria. Die Frau schwitzte unerhört stark, Tropfen perlten Strömen gleich an ihr herab.

Vorsichtig nahm er ihren Kopf zurück und flößte ihr das lauwarme Wasser ein. Sie konnte nur schwach nicken, was ihre nassen Haare in Bewegung versetzte und dann wurde sie wieder von Wehen geschüttelt. Myrtax hörte etwas knirschen und war sich sicher, dass es ihre Zähne waren.

Ein Blick auf die beiden Vampire sagte ihm alles. Weder Marseille noch Jilal nahmen Anteil an dem, was da gerade passierte. Ihre Gesichter, schmal und schön, waren ausdruckslos und nur Jilal schien mildes Interesse daran zu haben, wie die Geburt vonstatten ging. Der Hass in dem jungen Sklaven auf die Vampire und besonders auf seinen Herrn wuchs erneut.

Die Stunden verstrichen. Myrtax flößte Huria beständig Wasser ein, genau wie die beiden weiblichen Sklaven, die auch neues Wasser für Huria und Wein für die Vampire brachten. Huria war schweißgebadet, das Stroh im Auffangbecken unter ihr war durchweicht worden von Schweiß und Blut.

Langsam konnte Myrtax die Wehen sehen, die nun immer häufiger und gefühlt auch stärker kamen, das Ei Richtung Ausgang schoben und pressten. Die Rundung ihres Bauchs verschob sich weiter nach unten, ihr Busen lag nicht mehr so stark auf ihrer Bauchdecke auf.

Es konnte nicht mehr allzu lange dauern und der Druide war nicht hier. Myrtax fürchtete um die Sklavin.

"Herr Jilal, sollten wir nicht lieber den Druiden holen?", fragte er wieder und fürchtete sich nicht vor der Strafe. Was hier vorging, war Folter.

"Habe ich dich um deine Meinung gefragt?", blaffte der junge Adlige Myrtax an, der nur mit dem Kopf schüttelte.

"Nein, Herr. Ich sehe, wie sie leidet und frage Euch nur."

"Dann halt deinen Mund, wir holen den Druiden nicht.", knurrte Jilal, verschränkte die Arme vor der Brust, trat zwei Schritte zur Seite, sodass er Huria besser von vorne sehen konnte.

Huria schrie wieder den Beißblock an, ihr Bauch schien nach innen gedrückt zu werden, eine nicht unerhebliche Menge Blut trat zwischen ihren Beinen hervor und plätscherte in den Auffangkorb.

"Ist...ist das normal?", fragte Myrtax unsicher in den Raum. Niemand antwortete ihm, eine der Sklavinnen gab Huria etwas zu trinken.

Die Beine der Frau zitterten und Myrtax konnte nun sehen, wie sich die Weiblichkeit der Frau wölbte und öffnete. Blut floss in dünnen Fäden heraus, tropfte herab, die gräuliche Schale des Eis glänzend vor Blut und anderen Flüssigkeiten. Ihr Bauch wies eine sehr seltsame Form auf und eine dünne Linie hatte sich auf ihrer Haut gebildet, die zur ihrer Weiblichkeit führte.

"Sie kommt gut klar.", befand Marseille und Myrtax hätte sie am liebsten zu Boden geworfen und mit einem Dolch bearbeitet, ihr das Herz herausgerissen und es Jilal in den Rachen gestopft. Was sollte dieser Scheiß? Huria kam gar nicht klar, sie hatte sich sogar eingestuhlt, was niemanden zu stören schien, am allerwenigsten die Gebärende. Sie kam ganz und gar nicht klar, sie hatte Schmerzen, war der Verzweiflung nahe und wohl auch bald am Ende ihrer Kräfte. Sie kämpfte bereits die ganze Nacht mit diesem Ei und auch, wenn Myrtax wusste, dass es lange dauern würde wie bei jeder Geburt, sorgte er sich. Er war drauf und dran, eine der Sklavinnen zu drängen, den Druiden zu holen. Es war Leichtsinn, diesen Vorgang an einem Menschen ohne Unterstützung durch magische Kräfte vollziehen zu wollen.

"Sie hat bald den schwersten Teil hinter sich.", murmelte Marseille, schaute nun auch zwischen die Beine der Frau. "Wurde auch Zeit, der Tag bricht bald wieder an."

Myrtax starrte Marseille unverhohlen an. War das ihr einziges Problem? Wirklich? Ihr Schlaf und die Angst vor der Sonne? Allein dafür müsste er sie im Feuer verbrennen lassen!

"Ich hoffe, das Kind wird großartig.", brummte Jilal.

Huria wimmerte herzerweichend und gab dieses Mal einen so hohen und gepeinigten Schrei von sich, dass es in den Ohren wehtat. Etwas knirschte, dann knackte irgendetwas mehrfach und die Frau schrie. Ihr Unterleib verschob sich merklich, ihre Oberschenkel standen in einem sehr merkwürdigen Winkel von ihr ab. Das Ei wurde herausgepresst, ihre Weiblichkeit dehnte sich noch ein Stück aus, als die dickste Stelle des gräulichen Eis passieren wollte.

Was nun geschah, würde Myrtax sein Leben nicht vergessen. Wäre der Druide Diosmos zugegen gewesen, wäre dies alles nicht passiert, nur eine dunkle Erinnerung in einem Sklavenleben.

Der Druide war aber nicht da und somit auch seine Heilkräfte nicht. Die beiden Vampire standen unbeteiligt daneben, die Sklavinnen gaben nur erschrockene Ausrufe von sich.

Huria presste ein letztes Mal. Es war, als würde ein Unterdruck in ihrem Bauch entstehen, der das Zwerchfell nach innen sog. Ihre Haut wölbte sich zwischen Brustbein und Magengegend nach innen. Huria hatte keine Zeit mehr zu schreien, denn als die dickste Stelle des Eis nach draußen drängte, riss ihr Unterleib auf, beginnend von ihrer Weiblichkeit entlang der dünnen Linie, die Myrtax schon vorher bemerkt hatte über den Bauchnabel bis zum Brustbein. Das Geräusch hörte sich an wie nasses, dickes Papier, welches auseinandergerissen wurde.

Eine gewaltige Menge Blut schoss aus dem offenen Leib, klatschte in den Korb unter Huria und auf den Steinboden. Das Ei, halb draußen, halb in der Gebärmutter, folgte mit den Innereien. Stinkende, rote Schlingen, kleinere Organe folgten. Es gab ein trockenes Knacken, als das Ei in der Schale aufschlug, welche zu weit unten lag. Es barst am unteren Ende auf, weißlich rote Flüssigkeit vermischte sich mit dem Blut, bevor die Eingeweide der schönen Sklavin es verdeckten. Ihre Lungen baumelten herab, gefolgt von ihrem pulsierenden Herzen.

Myrtax schaute hoch. Huria blickte ihn an, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. Sie blinzelte noch einmal, dann sackte ihr Kopf herab und sie rührte sich nicht mehr.

Irgendwer übergab sich und es war nicht der erstarrte Myrtax.

 

 

Stunden später stand Myrtax wie gelähmt an der Wand, ihm war kalt, er war hungrig, hatte Durst und er sah immer noch das sanfte Lächeln von Huria vor sich. Wieso hatte sie gelächelt, während ihr Leben aus ihr herausfloss? War sie erleichtert? Myrtax hatte es nicht sagen können.

Marseille war in der Zwischenzeit verschwunden, Jilal saß in seinem Sessel und trank etwas, das nach Wein aussah. Für Myrtax schien es eher wie Blut, aber momentan war sogar das Wasser im Badezuber ähnlich wie Blut.

Dunkles, dickflüssiger Lebenssaft.

Jetzt war ihm auch noch schlecht. Nur mit Mühe konnte der junge Sklave verhindern, dass er sich vor seinem Herrn übergab.

Der Gebärstuhl war fortgeschafft worden, ebenso wie die Leiche von Huria und ihrem Kind. Der kleine Vampir hatte wohl noch gelebt, war dann aber verstorben, man hatte ihn wohl nicht mehr retten können. Ob Junge oder Mädchen, hatte Myrtax nicht erfahren.

Die beiden Sklavinnen hatten dann den Boden von Blut befreit, es roch stark nach Putzmittel mit Orangen versetzt. Es deutete nichts mehr daraufhin, dass sich eine wahrhaftige Tragödie ereignet hatte.

"Ich sollte lernen.", brummte Jilal, knallte das Glas auf den Tisch, wobei Myrtax fürchtete, dass es zerbrach.

"Lernen, Herr?", traute er sich zu fragen, aber der schlanke Vampir antwortete ihm nicht. Der Sklave hatte nun den Verdacht, dass die Herrin Rovinna richtig lag mit ihren Verdächtigungen, dass ihr Sohn sich mit Magie beschäftigte.

Was daran merkwürdig sein sollte, wusste Myrtax nicht. Vampire lernten eher Magie als Menschen, also war es natürlich, dass sich Vampire mehr mit dieser seltsamen Kraft, die sie den Infernalé zuschrieben, beschäftigten und sie zu erlangen trachteten. Myrtax konnte hier nur vermuten, dass sie fürchtete, ihr Sohn würde sich gegen sie und ihren Gemahl wenden. Was Myrtax dem verwöhnten Jilal durchaus zutrauen würde, gerade auch mit seiner Unbedachtheit, die jetzt nicht nur Huria und ihrem Kind das Leben gekostet hatte, sondern den Lachlidan eine wohl sehr wertvolle Blutlinie.

Die große Tür neben Myrtax flog auf und krachte gegen die Wand, hinterließ eine Delle im Holz. Zuerst trat die Herrin Rovinna ein, wobei dies nicht der korrekte Begriff dafür gewesen wäre. Sie betrat das Zimmer mit einer Gewalt, die einem Sturm gleich, sogar ihr rotes Kleid, welches mehr mit den Kurven spielte als sie zu verhüllen und durch die straffe Gangart ihre Beine zeigte, hinter ihr herwehen ließ.

Dahinter befand sich der Herr Simar, welcher eher ruhiger wirkte als seine aufgewühlte Gemahlin.

"Wo ist sie?", herrschte sie ihren Sohn an. "Was hast du Nichtsnutz getan?"

"Was soll ich schon getan haben?", erwiderte Jilal, erhob sich gelangweilt aus seinem Sessel. "Nichts, warum schreist du so?"

"Nichts?" Rovinna trat zurück, als hätte er sie geschlagen. "Du hast nichts getan? Unfähig bist du! Wo ist deine Sklavin mit ihrem Kind? Wo ist unsere Blutlinie?"

"Tot?", fragte Jilal und zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen, dass es nun einmal so sei und egal wäre. "Sie hat es nicht geschafft, das Ei zu legen."

"Und warum hast du nicht den Druiden geholt?" Der Herr Simar mischte sich nun in seiner sanften Redeweise in das Gespräch ein. Myrtax machte zwei, drei kleine Schritte zur Seite, um alle drei besser sehen zu können. Eigentlich wollte er nicht auf sich aufmerksam machen, aber er war nun doch neugierig. Der Tag war zwar schon angebrochen, aber die Vampire waren immer noch wach, was sehr ungewöhnlich für sie war.

Myrtax fiel auf, dass Marseille fehlte. Sie hatte den Herren offenbar berichtet und trat nun lange nach ihnen ein. Ihr hübsches Gesicht war blass und sie schien nicht besonders erpicht darauf zu sein, hier in diesem Raum zu verweilen. Warum blieb sie dann nicht fort? War es ein Befehl, der sie davon abhielt? Die Angst vor Jilal und der Bestrafung? Gut, Jilal war nicht dumm, auch, wenn er vermehrt falsche Entscheidungen traf. Er würde wissen, dass Marseille Bericht erstattet hatte und sehr wahrscheinlich würde er sie dafür bestrafen.

Myrtax wünschte es ihr. Er wünschte ihnen beiden die härteste aller Strafen. Nicht wegen Huria selbst, sie war ihm egal. Sondern wegen ihrer herablassenden Art und ihrer Respektlosigkeit vor anderem Leben, besonders vor dem der Menschen.

"Warum hätte ich es tun sollen?" Jilal nahm das Glas auf, welches einen merklichen Sprung im Stiel hatte, das Licht brach sich darin. "Sie hatte eine Aufgabe und diese hat sie nicht bewältigt."

"Bist du lichtgeblendet?", rief Rovinna aus und Myrtax sah das Blut in ihr Gesicht schießen. Sie war wirklich wütend. "Menschen können ohne Hilfe keines unserer Kinder kriegen? Hab ich dich so dumm erzogen oder bist du so verblödet? Selbst Vampire schaffen es kaum!"

"Ja und? Sie war nur ein Mensch."

"Sie war nicht nur ein Mensch!" Rovinna gab ein Geräusch von sich, als konnte sie nicht glauben, was sie da hörte und verzweifelte beinahe daran. "Sie war eine unserer ältesten Blutlinien. Die letzte ihrer Blutlinie. Sie hätte viele Kinder gebären sollen, aber keines von deinen! Wenn du wenigstens Diosmos gerufen hättest, dann würden wir dieses Gespräch nicht führen."

"Ja und?" Jilal schien sich der Tragweite seiner Taten nicht bewusst zu sein oder es war ihm egal. "Wir können doch noch mehr und andere Kinder und Blutlinien haben."

"Eben nicht, du...du... ARGH!" Rovinna drehte sich wütend zu ihrem Mann um, als wolle sie ihren Zorn woanders hinlenken. Sie starrte ihn an, Simar zuckte mit den Schultern.

"Was soll die Aufregung?" Jilal verschränkte die Arme vor der Brust, das Glas noch in der Hand. "Eine Blutlinie heranzuzüchten ist doch nicht schwer und kostet uns auch fast gar nichts."

"Fast gar nichts?", zischte Rovinna, drehte sich wieder zu ihrem Sohn. "Es kostet uns Verträge. Huria war die letzte ihrer Blutlinie und hätte in vier Jahren zu den Abbaturi gewechselt, damit sie uns zwei von den ihren geben."

"Was interessieren uns die Abbaturi?", lachte Jilal. "Wir sind Lachlidan. Wir beherrschen Holz, wir beherrschen die Erde. Sie haben nur eine Bergfestung."

"Nein, sie haben die Grünlandweiden und die besten Krieger und geschmacklich besten Blutlinien. Dass wir Huria hergeben konnten, war unser Glück."

"Was regst du dich so auf?" Jilal leerte sein Glas, stellte es auf den Tisch. "Huria war lecker, für einen Menschen echt hübsch, aber auch sie war nur ein Mensch."

Dies war der Moment, den Myrtax sein Lebtag nicht vergessen würde. Huria und nun das, beides an einem Tag.

Rovinna sagte nichts mehr, sie gab ein Geräusch von sich wie Wasser auf einer heißen Oberfläche. Ihre rechte Hand loderte plötzlich in roten Flammen auf, als hätte sie das Feuer einer Esse heraufbeschworen. Ihre flache Hand ruckte vor und sie schlug ihren Sohn ins Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite, das Feuer blieb haften und Jilal schrie so hoch, dass das Glas leise klirrte. Er hielt sich das Gesicht, welches nun eine üble Verbrennung von der Schläfe bis zum Kinn aufwies. Selbst mit seiner wenigen Heilkraft konnte er es nicht heilen. Er würde Hilfe brauchen.

"Du als mein Sohn solltest es besser wissen.", flüsterte Rovinna und Myrtax lief es eiskalt den Rücken herab. Er machte wieder Schritte zur Tür hin zu der Stelle, an der er zuerst gestanden hatte.

"Kein Blutwein mehr für dich.", sprach Rovinna wieder lauter. "Hör auf, mit deinem Schwanz zu denken. Du lässt die Finger von den Blutlinien. Tobe dich an Marseille aus, aber wehe, sie stirbt dabei. Und wage es dich ja nicht, auch nur daran zu denken, dass Diosmos dich heilen soll."

"Mutter..." Die Worte klangen gepresst, als wage er kaum zu reden.

"Nein!", brüllte sie ihn an. "Du bist es nicht wert. Du hast Hunderte Jahre an Forschung, Pflege und sanfter Zucht zunichte gemacht, weil du nicht nachgedacht hast. Jetzt denk darüber nach, was du getan hast!"

Mit einer herrischen Bewegung drehte sie sich auf dem Absatz um und stampfte hinaus. Simar blieb noch einige Herzschläge, bevor er den Kopf schüttelte und auch das Zimmer verließ, die Tür fiel ins Schloss.

Myrtax blieb wie angewurzelt stehen und auch die hübsche Marseille rührte sich nicht. Jilal knurrte vor Schmerzen, hielt sich die Wange, die nun nass wirkte.

"Du!" Er deutete auf Myrtax. "Hol mir Verbandszeug. Und Alkohol. - Und du!" Er schaute Marseille an, deutete auf die Truhe vor seinem großen Himmelbett. "Knie dich daneben."

"Ja, Herr.", nuschelte Marseille, kniete sich brav neben die Truhe mit gesenktem Kopf. Sie wusste wohl, was sie erwarten würde. Myrtax verneigte sich rasch, um die gewünschten Dinge zu beschaffen. Dafür brauchte er kaum eine Stunde und war überrascht, Jilal an dem langen Tisch sitzen zu sehen, frischen Wein vor sich stehen.

"Verbinde mich.", grollte er leise und Myrtax tat, wie ihm befohlen, stellte die Flasche Schnaps vor seinem Herrn hin. Die heilende Paste gab einen unangenehm minzigen Geruch von sich, was auch Jilal zu stören schien.

"Wehe, du tust mir weh."

"Nein, Herr." Der Sklave versuchte es redlich und schaffte es bis auf zwei Ausnahmen, die ihm böse Blicke einbrachten, die offene Haut mit der Paste einzureiben und dann das Gesicht seines Herrn so zu verbinden, dass das Auge noch herausschauen konnte. Keine gute Leistung, aber sie würde bis auf weiteres halten.

"Gut." Jilal stand auf, löste seinen Gürtel, seine Hose fiel zu Boden. "Aufstehen."

Marseille erhob sich, Myrtax packte die Ausrüstung wieder in die lederne Tasche, als er Stoff rascheln und reißen hörte. Ein dumpfes Poltern und ein leiser Schmerzenslaut. Er schaute nach hinten und sah Marseille über der großen Truhe liegen, ihr Kleid schlotterte um ihre Füße, ihr nackter Oberkörper lag auf dem Truhendeckel und ihr Hinterteil zeigte in die Höhe.

Ein leises Schnalzen, als Jilal den Gürtel straff zog und die beiden Lederbänder aneinanderklatschten. Er holte aus und Myrtax wandte den Kopf ab. Mit einer Bestrafung hatte er gerechnet, aber nicht so.

Dieses Mal musste er nicht hinsehen und hatte davon keine Bilder im Kopf. Aber das Klatschen des Gürtels auf Fleisch und die gar nicht hingebungsvollen, sondern schmerzerfüllten Schreie der Dienerin brannten sich in seinen Kopf und waren sogar noch schlimmer als wenn er hingeschaut hätte.

So hatte er es ihr nicht gewünscht.

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